Die Geschichte der Oranienburger Dampfmühle: Schon vor 90 Jahren für Heimatforscher interessant

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Der nachfolgende Text des Heimatforschers Max Rehberg über die Geschichte der Oranienburger Dampfmühle erschien im Juni 1930 in der Zeitschrift „Heimat und Welt“.

Der gewaltige Brand, der die Oranienburger Dampfmühle vor wenigen Wochen heimgesucht hat und von dem die Zeitungen die Kunde durch ganz Deutschland getragen haben, lenkt die Aufmerksamkeit des Heimatfreundes auf die interessante Geschichte des Unternehmens.

Wo heute in Sachsenhausen die Wasser der Havel brausend und schäumend über Wehre stürzen, ließen die askanischen Markgrafen zum Schutze des strategisch außerordentlich wichtigen Havelüberganges vom Barnim zum Löwenberger Land ein Kastell (Burg) errichten. Im Schutze dieser Feste entstand wahrscheinlich um 1300 – zur Ausnutzung der Wasserkräfte des Havelflusses eine Mahl- und Schneidemühle, verbunden mit einem Eisenhammer, der das in den Brüchern reichlich vorhandene Raseneisenerz verarbeitete. Die Anlage erhielt den Namen „die Neue Mühle“ (nyge molne, Nuivemul, Nuewmole), der zuerst 1349 urkundlich auftritt.

Am 24. Juli 1402 zerstörten die im Bunde mit den Quitzows stehenden Pommern und Ruppiner die Burg Neumühl und brannten Eisenhammer und Wassermühle nieder. Am 20. Dezember 1419 übergab der Statthalter des Kurfürsten Friedrich I., Wirich von Treutlingen, dem „alten Götze Jäger“, d. h. dem Jägermeister von Götze, dem Besitzer von Zehlendorf und Zühlsdorf, gegen eine Pacht Neumühl mit den wüsten Dörfern „Neuendorf (bei Teschendorf auf der Stelle des heutigen Neuhof gelegen), Grabsdorf (Friedrichsthal) und Bernöwe, dem Grabow- und Mölmersee sowie dem Damm-zoll von Neumühl unter der Bedingung, daß er den Eisenhammer und die Mahl- und Schneidemühle wieder aufbauen sollte. Freies Bauholz wurde ihm aus den Wäldern Malz und Briesen gewährt.

Die Mahl-  und Schneidemühle wurde wieder errichtet, nicht aber der Eisenhammer. An Stelle der zerstörten Burg entstand ein „Mühlenschloß“, in dem der Mühlenmeister wohnte. Der am Osterdienstage 1574 vereidete Mühlenmeister Brunnenwasser wurde gleichzeitig als Schleusenmeister vereidigt. Daraus geht hervor, daß neben der Mühle eine Schiffsschleuse angelegt worden war. Vielleicht hatte man sie bei dem Neubau der Mühle in dem Havelarm geschaffen, der früher dem Antrieb des Eisenhammers gedient hatte.

Der Name „Neumühl“ verschwand später ganz. Als Bötzow zur Zeit der Kurfürstin Luise Henriette in „Oranienburg“ umgetauft wurde, bürgerte sich allmählich die Bezeichnung „Oranienburger Mühlen“ ein. Den Oranienburger Mühlen waren bestimmte Ortschaften zugewiesen, die dort mahlen lassen mußten (Mahlzwang): Oranienburg, Germendorf, Bärenklau, Velten, Marwitz, Pausin, Perwenitz, Paaren, Tietzow, Flatow, Grünefeld, Börnicke, Groß-Ziethen, Schwante, Staffelde, Schmachtenhagen, Zehlendorf, Wensickendorf, Nassenheide, Lehnitz, Friedrichsthal, später auch Klein-Ziethen, Hohenbruch, Neuholland bis zum Falkenthaler Damm und Malz. 1719 gab es 3609 Mahlgäste. Die Mühle hatte 8 Gänge. Aus diesen Zahlen geht hervor, daß man es mit einem recht bedeutenden Mühlenwerke zu tun hatte.

In der ältesten Zeit erhielt der- Mühlenmeister, der dem Amte Bötzow (Oranienburg) unterstellt war, den achten Teil des Gewinnes, hatte dafür aber auch den achten Teil der Unkosten für die Erhaltung der Mühleneinrichtungen zu tragen. Der Ertrag der Mühle belief sich um 1665 jährlich auf 1 Wispel Weizen, 67 Wispel Roggen, 18 Wispel Malz, 16 Wispel Schrot und 20 Wispel Steinmehl. 1695 wurde der Anteil des Mühlenmeisters auf ein Zwölftel des Reinertrags heruntergesetzt. Gleichzeitig hatte sich dieser aber auch erheblich verringert: 20 Scheffel Weizen, 56 Wispel Roggen, 8 Wispel Malz, 24 Scheffel Stein- oder Staubmehl. Nach dem Abgange des Mühlenmeisters Jähnike im Jahre 1698 wurde der Mühlenmeister Christoph Garn mit einem bestimmten Gehalte eingesetzt: Aus Befehl Friedrich Wilhelms l. verpachtete das Amt 1715 die Mühlen an den Mühlenmeister Johann Christoph Eger und 1721 an den Mühlenmeister Otto und zwar zu folgenden Bedingungen: Dem Mühlenmeister werden Mahl- und Schneidemühle nebst Schleuse, sowie die Fischerei im Mühlenteiche und Weidefreiheit für 8 Kühe übergeben. Der Pächter hat die Mühle in baulichem Zustande zu erhalten, empfängt aber alles nötige Holz. Die Havel wird von den Amtsuntertanen geräumt 1695 kaufte der Oranienburger Mühlenmeister auch die Wassermühle (Obermühle) zu Birkenwerder.

Um das Jahr 1750 fingen die Berliner Bäcker an, in den Oranienburger Mühlen mahlen zu lassen Dadurch boten sich dem damaligen Mühlenmeister Joachim Hermes gute Aussichten, den Betrieb vergrößern zu können. Die Hauptsache war, die neuen Mahlgäste möglichst zur Zufriedenheit zu bedienen, damit sie dauernde Kunden würden. Die Zwangsmahlgäste aus den zugewiesenen Ortschaften waren ja sicher. So kam es, daß den Bäckern von den acht Mahlgängen fünf eingeräumt wurden, den übrigen Gästen dagegen nur drei. Die Folge waren zahlreiche Beschwerden der letzteren über die mangelhafte Abfertigung. Die Königliche Kammer ordnete daraufhin unter Strafandrohung an, das; keinem Fremden Getreide abgemahlen werden dürfe, bevor nicht die Zwangsmahlgäste befriedigt wären. Diese Verfügung scheint jedoch nur auf dem Papier bestanden zu haben, denn bald darauf erhielten die Berliner Bäcker sogar sechs Gänge, und am 8. Juni 1752 erklärte sich die Kammer damit einverstanden Der Zudrang von Bäckern wurde bald so groß, daß auch unter ihnen Streitigkeiten entstanden und für sie eine besondere Mahlordnung aufgestellt werden mußte. Damit nun aber auch die vielen der Mühle zugewiesenen Ortschaften zu ihrem Rechte kamen, wurden mit den Oranienburger Mühlen zwei Windmühlen verbunden, eine in Wensickendorf, die andere in Flatow bei Kremmen. Das Mühlenwerk bestand dazumal aus der großen Mühle mit sechs und aus der kleinen mit zwei Gängen. Um das Jahr 1790 wurde an dem Havelarm, an dem die Schneidemühle lag, noch eine zweite kleine Mühle mit zwei Gängen angelegt. Später stieg die Zahl der letzteren auf vier. 1795 machte sich ein Neubau der großen Mühle notwendig. Er war 1801 beendet. Das Gebäude wurde in der bisherigen Größe wieder errichtet, erhielt aber 10 Gänge, so daß im ganzen nunmehr 16 Gänge vorhanden waren. Zu gleicher Zeit wurde das alte Mühlenschloß abgerissen und durch ein Wohnhaus ersetzt (jetzt Oberförsterei Sachsenhausen) und im Teschendorfer Graben bei der Tiergartenschleuse eine Mahl- und Schneidemühle erbaut, die sogenannte „Neue Mühle“, die aber nur kurze Zeit bestand.

1798 hob die Königliche Kammer das Pachtverhältnis an den Oranienburger Mühlen auf und stellte einen Verwalter in der Person des Obermühleninspektors Karl Friedrich Weigel an. Diesem wurde auch die Verwaltung der neben den Mühlen befindlichen Schiffsschleuse übertragen. Später wurde Weigel ebenfalls Pächter. Die jährliche Pacht betrug in der Zeit von 1840 bis 1845 rund 3600 Taler. Für die neue Pachtperiode 1855 bis 1873 wurde die Summe aus 3765 Taler erhöht.

Die Oranienburger Mühlen gehörten seinerzeit zu den größten märkischen Mühlenwerken. Wenn man heute von Oranienburg nach Sachsenhausen wandert, so überschreitet man zwei Havelarme mit Freiarchen (Wehren), ehe man zu den Schleusen des Oranienburger Kanals kommt. An dem ersten Havelarm lag links der Chaussee die Weizenmühle mit vier Gängen und die Schneidemühle. Darauf folgte, ebenfalls links des Weges, ein riesiger Kornspeicher und dann die große oder gelbe Mühle mit 10 Gängen. Diese war an einem Havelarm errichtet, der sich zwischen der jetzigen ersten und zweiten Freiarche befand und später zugeschüttet wurde. An demselben Arm lagen auch die Bauernmühle mit vier Gängen und die Oelmühle, auch die rote und schwarze Mühle genannt. Nun folgte das Wohnhaus des Mühlenpächters, die heutige Oberförsterei Sachsenhausen. Die gegenwärtige zweite Freiarche diente auch schon damals als Freilauf der Regulierung des Wasserstandes. Rechts von der Chaussee erhob sich neben der ersten Freiarche ein Wohnhaus, in dem bis vor kurzem ein Wasserbauwart sein Heim hatte. Gegenüber dem Oberförstereigebäude, rechts von der Straße, erkennt man jetzt noch eine teichartige Anlage mit einer Insel. Das ist der Ueberrest einer beckenförmigen Erweiterung der Havel, eines Mühlenteiches, in dem die Kornkähne lagen.

Die zur Mühle gehörigen Grundstücke umfaßten 1854 eine Fläche von 217 Morgen. Dazu traten die Fischerei auf der Havel und die Hütung für 34 Stück Rindvieh im Forstbezirk Neuholland (Sachsenhausen). Nach der Eröffnung des Oranienburger Kanals im Jahre 1837 hatte der Mühlenpächter sehr über die Verschlechterung des Unterwassers zu klagen Die Havel wurde zur Schiffahrt gar nicht mehr benutzt, verkrautete infolgedessen sehr und mußte häufig geräumt werden was große Kosten verursachte.

Am 16. Oktober 1874 legte ein gewaltiges Schadenfeuer den größten Teil der Oranienburger Mühlen in Asche. Nur die Wohngebäude, der Kornspeicher, die Weizen- und die Schneidemühle blieben stehen. Wochenlang glimmten und rauchten die Trümmer. Von einem Wiederaufbau nahm man Abstand. Der damalige Mühlenpächter, Kommissionsrat Gustav Weigel, erhielt eine Abfindungssumme und legte 1875 in Oranienburg an der Havel eine Dampfmühle an. Sein Sohn, Karl Weigel, vergrößerte se und richtete sie auf das modernste ein. So erhielt die Anlage u. a. ihre eigene elektrische Beleuchtung. Karl Weigel war der letzte männliche Sproß aus der Familie Weigel, deren einfaches Erbbegräbnis von Efeu umrankt, sich auf dem alten evangelischen Friedhof in Oranienburg befindet. Er war in Oranienburg eine geachtete Persönlichkeit. Besonders durch die Neuordnung und Verbesserung der Freiwilligen Feuerwehr hat er sich bedeutende Verdienste erworben. Im brandreichsten Jahre der neueren Stadtgeschichte, 1893, brachte er auf dem Maschinenhause der Dampfmühle ein Dampfnebelhorn an, dessen markerschütternder Ton seinerzeit geradezu Aufsehen erregte und für die Alarmierung der Wehr von großer Wichtigkeit wurde. Die „Oranienburger Dampfmühle“ war weit und breit bekannt. Ihren Namen las man an den Schildern der Mehlhandlungen zahlreicher märkischer Städte. Leider brach das Unternehmen infolge unglücklicher Spekulationen um die Jahrhundertwende zusammen. 1901 ging es in den Bdsitz von Nathan Cohn über. Das Bild zeigt den damaligen Zustand der Mühle.

In der Nacht zum 24. Februar 1916 wurde die Oranienburger Dampfmühle von einem verheerenden Brand heimgesucht. Der große Kornspeicher an der Havel – auf unserem Bilde rechts – wurde mit seinem reichen Inhalt, der in der schweren Zeit des Weltkrieges ganz besonders wertvoll war, ein Raub der Flammen. Da die Gefahr bestand, daß auch die anderen Mühlengebäude von dem durch den starken Oststurm angefachten Feuer ergriffen würden, setzte sich die Polizeiverwaltung mit der Berliner Feuerwehr in Verbindung und erhielt auch Hilfe zugesagt. Da es jedoch der Oranienburger Freiwilligen Feuerwehr im Verein mit der Sachsenhausener Wehr gelang, das Feuer auf seinen Herd zu beschränken, so brauchte die Berliner Feuerwehr nicht mehr hinzugezogen zu werden. Der Sturm trieb die brennenden Getreidekörner in die entferntesten Stadtteile.

Bald blühte neues Leben aus den Ruinen. Im August 1916 wurde der Bau eines riesigen Silos in Angriff genommen, der im Sommer 1917 vollendet werden konnte. Der Speicher hat eine Höhe von 36 Meter. Er enthält 16 Silozellen von 23 Meter Tiefe, die zusammen 4000 Tonnen Getreide, d. h. 80.000 Zentner oder 200 Eisennahnwagen zu je 400 Zentner fassen. Durch eine pneumatische Sauganage, die in der Stunde rund 30 Tonnen befördert, wird das Getreide aus den in der Havel liegenden Kähnen in den Speicher gegebracht, geht dort durch Reinigungsmaschinen und gelangt mittels Transportschnecken in die Einfallöffnungen der Silozellen. Unten haben diese Ausfallöffnungen, aus denen das Getreide ebenfalls durch mechanische Transportvorrichtungen in die Mahlgänge geleitet werden kann. In dem Turm des Speichers befindet sich ein Wasserbehälter mit 9 Kubikmeter Inhalt‚ der bei Feuergefahr zur Berieselung dient. Auch die Bearbeitung (Umlagerung) des Getreides geschieht auf mechanischem Wege. Der ganze Silo besteht aus Eisenbeton. Zu seiner Herstellung waren 165 Tonnen Eisen und 14 000 Sack Zement erforderlich Die Baukosten betrugen gegen 280 000 Mark. Kurz vor dem Bau des Silos wurde auch ein neuer hoher Schornstein erritet

Nach dem Weltkriege ging die Dampfmühle in den Besitz einer G. m. b. H. (Kampffmeyergruppe) über, von der sie der Kaufmann Max Lazarus in Berlin-Grunewald übernahm.

Durch den Riesenbrand in der Nacht zum 21. Mai 1930 wurde das eigentliche Mühlengebäude vollständig zerstört Dank der übermenschlichen Anstrengungen der Feuerwehren von Oranienburg und der weitesten Umgegend, die, unterstützt von zwei Löschzügen der Berliner Feuerwehr mit zahlreichen Motorspritzen ungeheure Wassermassen in den Brandherd und gegen die zu schützenden Gebäude schleuderten, gelang es, den Silo, das Maschinenhaus und einen zweiten Speicher zu retten.

Den Dampfmühlen ergeht es jetzt ähnlich, wie schon seit längerer Zeit den Wind- und den kleinen Wassermühlen. Sie werden totgemacht, und zwar von den Riesenmühlen in den Hasenstädten So ist auch das zukünftige Schicksal unserer einst so bedeutenden und in ihrer Geschichte interessanten Oranienburger Dampfmühle ungewiß.

Die Originalquelle ist in Auszügen auch wiedergegeben in: Jancke, Jürgen: Die „Rinn-Dokumentation“, Band 2, Oranienburg 2013, S. 41f.